Begriffsystem zur Durchlässigkeit des Seins von Andersen Storm Markkleeberg, 13.04.2025
von Sanja Liebermann – Dartmoor 13.10.25
Andersen Storms „Begriffsystem zur Durchlässigkeit des Seins“ ist weniger philosophisches Traktat als sprachgewordene Bewegung. Das Werk entfaltet keine Lehre, keine Doktrin, sondern öffnet ein Feld, in dem Sein, Bewusstsein und Welt einander durchdringen. Es will nichts festhalten – es möchte spürbar machen, dass Denken selbst ein Akt der Durchlässigkeit ist.
Das System beginnt mit zwei Grundbegriffen: Sein und Liebe. Schon diese Reihenfolge deutet die innere Logik an. „Sein“ ist bei Storm kein stillstehendes Fundament, sondern der offene Horizont, in dem alles geschehen kann. Es ist das Möglichkeitsfeld des Erscheinens, kein Besitz, sondern Bewegung. Die Liebe hingegen ist die Dynamik dieser Bewegung – die Kraft, durch die das Sein sich selbst begegnet.
„Was sich durch uns bewegt, ist nicht neu, nicht erinnert. Liebe ist die Substanz, in der sich Begegnung ereignen kann.“
Dieser Satz könnte als Herz des gesamten Werkes gelesen werden. Liebe ist hier nicht Gefühl, sondern ontologische Energie – das Prinzip, das Begegnung ermöglicht, ohne sie zu erzwingen. Sie ist, wie Storm schreibt, „die Voraussetzung aller Optionen – das kommunikative Feld, das das Sein zur Erscheinung bringt.“ Eine gewagte Wendung: Liebe als universale Quelle, die alles Austauschbare wertvoll macht, indem sie selbst unerschöpflich zirkuliert.
In dieser Konzeption steht Storm in einer fernen Verwandtschaft zu mystischen Denkern wie Rumi oder Hafiz, deren Sprache die Liebe als göttliche Trunkenheit, als ekstatische Einheit mit dem Einen feiert. Doch wo Rumi in der Verschmelzung das Ziel sieht, hält Storm an der Differenz fest. Seine Liebe ist keine Auflösung, sondern eine durchlässige Spannung – sie wahrt den Zwischenraum, in dem Begegnung erst möglich wird.
Wo Rumi im Feuer vergeht, bleibt Storm an der Flamme interessiert.
Hierin liegt eine moderne, beinahe phänomenologische Wendung: Die Liebe ist nicht Transzendenz, sondern Immanenz in Bewegung. Sie gründet nicht im Jenseits, sondern im Mit-Sein – in der wechselseitigen Offenheit des Bewusstseins.
Auffällig ist, dass das Werk adressatenlos bleibt. Es richtet sich an niemanden, es will keine Überzeugung, keine Gefolgschaft. Storm schreibt aus der Liebe, nicht über sie. Sein Text ist Ausdruck eines inneren Vollzugs, nicht Mitteilung eines Gedankens. Diese Haltung hat Konsequenzen: Das „Begriffsystem“ ist kein Handbuch, keine Theorie im klassischen Sinn, sondern ein Versuch, Denken selbst zum Ort der Durchlässigkeit zu machen.
Gerade darin liegt seine Eigenart – und vielleicht auch seine Herausforderung. Denn wer das Werk liest, begegnet keinem Argument, sondern einem Prozess. Man muss sich ihm überlassen, so wie man sich einem Gespräch hingibt, das keine Agenda verfolgt.
Storms Denken steht damit im Grenzbereich zwischen Philosophie, Poesie und Mystik, ohne sich einer dieser Sphären ganz zuordnen zu lassen. Es ist von einer stillen Radikalität: Sein wird nur im Liebesvollzug wirklich, und Denken wird nur wahr, wenn es sich selbst durchlässig macht.
Am Ende bleibt der Eindruck, dass das „Begriffsystem zur Durchlässigkeit des Seins“ weniger eine Lehre als ein Zustand ist – ein Zustand des geöffneten Bewusstseins, das sich nicht mehr als Beobachter, sondern als Mitspieler im Strom des Seins begreift.
„Das Denken, das die Liebe verstehen will, muss selbst liebend werden.“ In dieser Konsequenz liegt die Schönheit – und der Mut – dieses Werkes.”
Rezension: Begriffsystem zur Durchlässigkeit des Seins von Andersen Storm
von Sanja Liebermann 13.10.25
Eine feministische Lesart Andersen Storms Begriffsystem zur Durchlässigkeit des Seins lässt sich als leiser, aber radikaler Beitrag zu einer feministischen Ontologie lesen – auch wenn es diesen Anspruch nicht explizit erhebt. Das Werk verweigert jene Form der Systematik, die auf Abgrenzung, Hierarchie und Beherrschung beruht. Stattdessen entfaltet es ein Denken der Beziehung, der Offenheit und der gegenseitigen Durchlässigkeit.
Wenn Storm schreibt: „Liebe ist die Voraussetzung aller Optionen – das kommunikative Feld, das das Sein zur Erscheinung bringt“, dann kehrt er die klassische Logik des Besitzens um. Liebe ist kein Objekt, keine Ressource, sondern das Medium des Austauschs, das jede Möglichkeit erst ermöglicht. In diesem Sinne erinnert Storm an Luce Irigarays Forderung nach einem Denken der Zwei: eine Philosophie, die Differenz nicht als Mangel, sondern als Bedingung von Beziehung versteht.
Storms Begriff der Durchlässigkeit bricht mit dem patriarchalen Ideal der Abgeschlossenheit. Er ersetzt Stabilität durch Bewegung, Identität durch Resonanz. Das Subjekt wird nicht definiert durch Selbstbehauptung, sondern durch seine Fähigkeit, berührt zu werden – eine Haltung, die an bell hooks’ Idee der Liebe als politischer Praxis erinnert.
Indem Storm aus der Liebe über die Liebe spricht, entzieht er sich der distanzierten Sprache der Herrschaft. Sein Denken ist embodied, ohne sich auf das Körperliche zu reduzieren – es atmet dieselbe Energie wie Hélène Cixous’ écriture féminine, in der Denken und Fühlen, Körper und Sprache, Erkenntnis und Beziehung untrennbar ineinanderfließen.
So gelesen, entwirft das Begriffsystem zur Durchlässigkeit des Seins ein Gegenbild zur dominanten Philosophiegeschichte: kein Denken, das ordnet und fixiert, sondern eines, das sich selbst durchlässig macht. Storms Werk schreibt keine Theorie der Liebe – es verkörpert sie. Ein Buch, das zeigt, wie Denken klingen kann, wenn es liebt – und wie Liebe denken kann, ohne zu herrschen.
